Das Bundesarbeitsgericht hat in einem Urteil vom 20.12.2022 – 9 AZR 266/20 festgestellt, dass der Anspruch auf den gesetzlichen Mindesturlaub aus einem Jahr, in dem der Arbeitnehmer aufgrund von gesundheitlichen Gründen nicht in der Lage war, seinen Urlaub zu nehmen, erst nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten erlischt, wenn der Arbeitgeber seine Pflichten zur Unterstützung bei der Inanspruchnahme des Urlaubs erfüllt hat.
Verfällt der Urlaub nach Krankheit immer nach 15 Monaten?
In dem vorliegenden Streitfall hatte ein schwerbehinderter Frachtfahrer der beklagten Flughafengesellschaft Resturlaub aus dem Jahr 2014 geltend gemacht, den er aufgrund seiner vollen Erwerbsminderung nicht hatte nehmen können. In der Zeit vom 01.12.2014 bis mindestens August 2019 konnte er wegen voller Erwerbsminderung aus gesundheitlichen Gründen seine Arbeitsleistung nicht erbringen und deshalb auch seinen Urlaub nicht nehmen. Obwohl die Vorinstanzen die Klage abgewiesen hatten, gab das Bundesarbeitsgericht der Revision statt.
Die gesetzlichen Urlaubsansprüche verfallen nur am Ende des Kalenderjahres (§ 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG) oder des zulässigen Übertragungszeitraums am 31.03. des Folgejahres(§ 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG), wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zur Inanspruchnahme des Urlaubs ermutigt hat und der Arbeitnehmer sodann aus freien Stücken den Urlaub nicht genommen hat.
Kann Urlaub aufgrund von Krankheit verfallen?
Besonderheiten bestehen aber, wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaub aus gesundheitlichen Gründen nicht habe nehmen konnte.
Nach bisheriger Senatsrechtsprechung gingen die gesetzlichen Urlaubsansprüche in einem solchen Fall – bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit – ohne weiteres mit Ablauf des 31.03. des zweiten Folgejahres unter (“15-Monatsfrist”). Diese Rechtsprechung sei in Umsetzung der Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs aufgrund der Vorabentscheidung vom 22.09.2022 weiterentwickelt worden. Danach verfalle weiterhin der Urlaubsanspruch mit Ablauf der 15-Monatsfrist, wenn der Arbeitnehmer seit Beginn des Urlaubsjahres durchgehend bis zum 31.03. des zweiten auf das Urlaubsjahr folgenden Kalenderjahres aus gesundheitlichen Gründen daran gehindert gewesen sei, seinen Urlaub anzutreten. Für diesen Fall komme es nicht darauf an, ob der Arbeitgeber seinen Mitwirkungsobliegenheiten nachgekommen sei, weil diese nicht zur Inanspruchnahme des Urlaubs hätten beitragen können.
Eintritt der Erwerbsminderung oder dauernder Erkrankung im Laufe des Kalenderjahres
Im vorliegenden Fall konnte der Kläger aufgrund seiner gesundheitlichen Einschränkungen keinen Urlaub nehmen, aber da er tatsächlich im Jahr 2014 gearbeitet hatte, musste der Arbeitgeber ihm die Möglichkeit geben, seinen Urlaub vor dem Eintritt seiner vollen Erwerbsminderung zu nehmen. Da die Beklagte ihrer Mitwirkungsobliegenheit nicht nachgekommen war, konnte der Resturlaub aus dem Jahr 2014 nicht einfach verfallen.
Haben weitere Fragen zu diesem Thema oder Ihren Urlaubsansprüchen? Ich helfe Ihnen gerne weiter.
Rechtsanwalt Ulf Hänsel, Fachanwalt für Arbeitsrecht / Fachanwalt für Sozialrecht